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No Pain, No Gain? – Autopoiese, Perturbation und Sinn

„Der Mensch kann fast alles ertragen, wenn er einen Sinn darin sieht.“ – Viktor Frankl

Was für den Einzelnen gilt, gilt auch für größere autopoietische Systeme. Moment mal, was ist Autopoiese? Autopoiese, also die Fähigkeit eines Systems, sich selbst zu erhalten und seine Struktur sowie Funktionen aus sich heraus aufrechtzuerhalten, beschreibt den Mechanismus, durch den alle lebenden Systeme – von Einzelorganismen über Unternehmen bis hin zu Gesellschaften – ihr Gleichgewicht bewahren, um zu überleben.

Ein System ändert sich nur, wenn es „durchgewirbelt“ wird. Das nennt man Perturbation (lat. perturbatio „Verwirrung“, „Störung“, „Unruhe“, „Unordnung“; perturbare „durcheinanderwirbeln“, „beunruhigen“, „verwirren“) und bedeutet letztlich eine Störung.

Oft reicht die Einsicht, dass sich etwas ändern muss, nicht aus. Unsere Einsichten sagen uns oft, dass sich etwas ändern muss, und die Systeme antworten mit Vorliebe: „Das haben wir schon immer so gemacht!“

Und das ist auch gut so, denn wenn wir jeden Morgen als gänzlich neue Wesen erwachen würden, ohne Gewohnheiten und Muster, wären wir gar nicht lebensfähig. Und wenn unsere Körperzellen nicht mehr wissen, zu welchem Gewebe sie gehören, haben wir Krebs.

Ein System ändert sich in der Regel also nur dann, wenn eine Perturbation vorliegt, und nur in seltenen Fällen kann es helfen, die Krise einfach auszusitzen.

Eine gute Freundin von mir ist aktuell ziemlich „durchgewirbelt“ und „verwirrt“. Sie ist gerade glücklich frisch verliebt, und sowohl Umzüge als auch Karrierewechsel werden so plötzlich realistische Möglichkeiten. Nicht, dass sie das bereits in Erwägung zieht oder es nicht bedeuten könnte, dass er seinen Job aufgibt und zu ihr zieht (und ihn habe ich noch gar nicht kennengelernt), aber wie die meisten von uns wissen, verändern neue Beziehungen unser Leben signifikant. Eine Perturbation muss also nicht zwangsläufig ein trauriges Ereignis sein – ist es aber häufig.

Ein guter Freund von mir hat kürzlich die Diagnose Diabetes Typ 2 bekommen und vollzieht gerade eine krasse Veränderung seines Lebenswandels. Von jetzt auf gleich werden viele liebgewonnene „Hedonismen“ in Rente geschickt, die viele Jahre fester Bestandteil seines „Systems“ waren. Glücklicherweise gelingt ihm das auch, im Gegensatz zu so manchem rauchenden Lungenkrebs- oder Herzkranken.

Fest steht jedenfalls, dass Systeme sich nicht ohne Weiteres verändern. Das gilt für kleine Systeme wie uns Menschen genauso wie für große Systeme. Ohne Corona wären Homeoffice und Videokonferenzen nicht plötzlich normaler Alltag geworden, und durch die zahlreichen anderen Krisen, die wir gerade erleben, sind die meisten Unternehmen derzeit auch in erheblicher „Unruhe“ und müssen sich verändern.

Doch so logisch die Erklärungen auch dafür sein mögen, dass Krisen eine Notwendigkeit in der persönlichen und unternehmerischen Evolution sind – sie spenden nur wenig Trost und dürfen es vielleicht nicht einmal, um uns anzutreiben, die notwendigen Veränderungen umzusetzen.

Dennoch gibt es Möglichkeiten, Krisen besser zu überstehen. Ein ganz wichtiger Aspekt ist hierbei, den Sinn der Krise zu verstehen und Ziele zu definieren, die auf einen besseren Zustand abzielen, der uns Hoffnung macht und jenseits der Krise liegt. Ob dieser Sinn genauso selbstlos sein muss, wie Viktor Frankl es in seiner Form der Logotherapie empfiehlt, sei mal dahingestellt, aber eine Krise ohne Hoffnung zu überstehen, ist mehr als nur eine „Spaßbremse“, und ich selbst weiß das nur zu gut.

Bedrohungen müssen klar kommuniziert werden, aber gleichzeitig muss auch eine positive Vision aufgezeigt werden.

Einer der Schlüssel bei jedem Change-Prozess ist dementsprechend, die Krise, aber auch das Motiv und den Sinn hinter den Veränderungen deutlich zu machen. Mitarbeitende müssen verstehen, warum Veränderungen notwendig sind, und optimalerweise auch an den Lösungen zum Überwinden der Krise beteiligt werden – und das dauerhaft, um in der VUCA-Welt zu überleben.

Einige Vorteile dabei sind, dass man gleichzeitig den Zusammenhalt, die Brand Love und das Recruiting verbessert und die Gesundheit und Produktivität fördert.

Mehr dazu in meinem Vortrag: Wertschöpfung durch Wohlergehen

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