Wie bin ich authentisch und wie wirke ich überzeugend?

Wie wirke ich überzeugend? Ethos, Pathos und Logos

„So konzentriert sich die gesamte Redekunst auf drei Faktoren, die der Überzeugung dienen: den Beweis der Wahrheit dessen, was wir vertreten, den Gewinn der Sympathie unseres Publikums und die Beeinflussung seiner Gefühle im Sinne dessen, was der Redegegenstand jeweils erfordert.“ (Cicero)

Aristoteles versteht die Rhetorik als die „Fähigkeit, bei jeder Sache das möglicherweise Überzeugende zu betrachten“. Um die Zustimmung des Publikums leichter zu gewinnen, versucht man seit der Antike Herz und Kopf der Zuhörenden zu erreichen. Um an die Leidenschaften des Publikums zu appellieren, unterscheidet Aristoteles Ethos und Pathos, die Vernunft spricht man mit Logos an.

Das Ethos zielt darauf ab, dass die Hörenden den/die Redner*in für glaubwürdig halten und als Autorität betrachten. Dazu wird an die ethischen und moralischen Überzeugungen appelliert. Cicero nennt die Schlagworte conciliare et delectare, also zweckgebundenes Gewinnen und zweckfreies Erfreuen.

Das Pathos dient der Erregung von Emotionen im Publikum. In Ciceros Worten: movere et concitare: Bewegen und Aufstacheln der Leidenschaften. Durch die Schilderung von Skandalen und Notlagen erzeugt der Redner z. B. Empörung, Mitgefühl oder Bewunderung von Heldenmut. Stimmführung, Mimik und Gestik, sowie bestimmte Stilmittel, z. B. gewagte Metaphern haben auch Einfluss auf Pathos.

Das Logos dient der intellektuellen Einsicht des Publikums und erscheint als docere et probare: informatives Belehren und argumentatives Beweisen.

Zu welchem Anlass will ich sprechen?

Um überzeugend zu sein, macht es außerdem Sinn, sich vorher darüber klar zu sein, in welcher Stimmung das Publikum ungefähr sein wird und was es erwartet.

Dazu unterscheidet Aristoteles drei Redegattungen entsprechend der Haltung der Zuhörenden: Man hört die Rede, um über Vergangenes zu befinden, über Zukünftiges zu entscheiden oder um sie in der Gegenwart zu genießen.

Die ersten Reden waren also Gerichtsreden. Sie betreffen die Abwägung von Schuld/Unschuld und stellen ein vergangenes Ereignis dar.

Die politische Rede oder Beratungsrede ist der zweite Anlass, aus dem öffentlich gesprochen wurde. Mit ihr wollte der/die Redner*n eine bevorstehende Entscheidung begründen oder gegnerische Ansichten widerlegen.

Die dritte Gattung ist die Lobrede, die allerdings ursprünglich nur bei Beerdigungen zum Einsatz kamen. Dabei wurde das ruhmreiche Leben des/der Verstorbenen gepriesen. Dieser Stil fand bald auch unter den Lebenden Gefallen, was überschwängliche Begeisterungsreden zu allen erdenklichen Themen nach sich zog.

ANGEMESSEN AUTHENTISCH AUFTRETEN

Was ist authentisches Auftreten? Gibt es so etwas wie absolut authentisch? Wie würde ein solches Verhalten aussehen?

Wörtlich bedeutet Authentizität „Echtheit“, vom griechischen Wort authentikós „echt“ und lateinischen authenticus „verbürgt, zuverlässig“. In Bezug auf Urkunden, Unterschriften und Kunstwerke ist es mehr oder weniger problemlos möglich, zwischen Original und Fälschung zu unterscheiden. Sobald aber die Authentizität einer Person gemeint ist, wird es schwierig.

Da gilt es, seinen Überzeugungen und Interessen treu zu bleiben, sich nicht zu verstellen, nicht durch andere manipuliert zu werden oder Opfer von Gruppenzwang zu werden. Die Aufforderung „Sei Du selbst!“ ist aber unmöglich zu erfüllen, denn wir sind maßgeblich durch ebenjene Einflüsse von außen zum „Selbst“ geworden.

Wir zeigen fast nie alle Facetten unserer Persönlichkeit, denn das Annehmen von sozialen Rollen erleichtert gesellschaftliches Zusammenleben immens. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der Sozialisation, zu erkennen, in welchen Kontexten welche spezifischen Verhaltensweisen erwartet werden.

Je nach dem in welchem sozialen Kontext wir uns also gerade befinden, können wir sehr unterschiedliches Verhalten an uns beobachten – deswegen ist aber nicht zwangsläufig eines davon weniger echt. Die Eigenschaften, die wir ungeachtet dieser Veränderungen als gleichbleibend erleben, verstehen wir als unsere Identität.

Wie entsteht jetzt Authentizität?

Das Selbst muss seine Komponenten erkennen, akzeptieren und in kritischer Prüfung für angemessen, wertvoll und stimmig erachten. Dann kann die Lebensgestaltung nach eigenen Fähigkeiten, Gefühlen, Bedürfnissen, Werten und Erkenntnissen gelingen.

Wenn Sein und Wunsch deckungsgleich sind, wenn man also so leben kann wie man ist und sein will, ist man authentisch. Das ist wiederum Frage der gesellschaftlichen Praxis, die den Ausdruck des authentischen Selbst verhindern oder sanktionieren kann.

Die Interpretation der eigenen Identität findet in einem entsprechend vorgefärbten kulturellen Kontext statt. Weder für einen externen Betrachter noch für die Person selbst kann es jemals Gewissheit darüber geben, ob es absolut authentisch ist (Krause 2017: 2-5).

Laut den Sozialpsychologen Michael Kernis & Brian Goldman (2006) erleben Menschen sich als authentisch, wenn diese vier Faktoren erfüllt sind:

  • Bewusstsein: Das eigene Verhalten reflektieren, um die eigenen Stärken und Schwächen wissen, sich seiner Gefühle und der Motive des Handelns bewusst sein
  • Ehrlichkeit: Gegebenes hinnehmen und Feedback akzeptieren, auch wenn es unangenehm sein sollte
  • Konsequenz: Werteorientiertes Handeln, auch wenn dadurch Nachteile in Kauf genommen werden
  • Aufrichtigkeit: besonders in sozialen Beziehungen seine Schattenseiten nicht verleugnen, sondern als Teil der Persönlichkeit mit akzeptieren

In der Rhetorik wird die Frage nach Authentizität besonders interessant. Denn mit der Strategie vom „Verbergen der Kunst“ (dissimulatio artis) versucht man, die Geplantheit und Inszenierung der Rede weitgehend zu verdecken, um den Eindruck von Spontanität und Glaubwürdigkeit zu erzeugen.

SELBSTWAHRNEHMUNG – FREMDWAHRNEHMUNG: DAS JOHARI-FENSTER

Das “Johari-Fenster” wurde 1995 von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham entwickelt (“Johari” ergibt sich aus den Namen der beiden). Es deckt die Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung auf, z.B. in Hinblick auf Merkmale (Erscheinungsbild, Umgangsformen oder körperliche Reaktionen), persönliche Eigenschaften (Ehrgeiz oder Ängstlichkeit) und innere Haltungen und Einstellungen (Moral und ethische Werte).

Das Johari-Fenster (Eremit/Weber 2016: 39)

Öffentliche Person: Mir bekannt, anderen bekannt: In diesem Bereich stimmen Selbstbild und Fremdbild überein und wir empfinden unser Handeln als authentisch. Im Vergleich zu den anderen ist dieser Bereich meist eher klein. Durch das Verkleinern der anderen Felder wird dieser Bereich größer.

Mein Geheimnis: Mir bekannt, anderen nicht bekannt. Die Eigenschaften, Ängste und Wünsche, die wir wissentlich oder unwissentlich vor anderen verbergen. Hier kann durch Selbstreflexion gezielt an Veränderungen von Verhaltensweisen gearbeitet werden.

Blinder Fleck: Mir nicht bekannt, anderen bekannt. Unbewusste Gewohnheiten und Verhaltensweisen, Vorurteile, Zu- und Abneigungen. Werden häufig nonverbal ausgedrückt. Durch das Annehmen und Reflektieren von Feedback kann der blinde Fleck verkleinert werden. Deshalb spielt das Feedback für eine bewusste Selbstdarstellung eine essentielle Rolle.

Unbewusster Bereich: Mir nicht bekannt, anderen nicht bekannt. Hier liegen auch verborgene Talente oder traumatische Erlebnisse. Um in diesen Bereich vorzudringen, bietet es sich an sich an, experimentierfreudig zu sein und gänzlich neue Kontexte zu erproben, oder mit professioneller Unterstützung Selbsterkenntnisse zu Tage zu befördern.

Literatur
  • Kernis, Michael H./Goldman, Brian M. (2006): A multicomponent conceptualization of authenticity. Theory and research. In: Zanna, Mar P. (Hrsg.) (2006): Advances in Experimental Social Psychology. New York: Academic Press, 283-357.
  • Krause, Rainer (2017): Irrwege zum Authentischen Selbst. Max Stirner und Charles Taylor über Freiheit in der Moderne, in: E-Journal Philosophie der Psychologie, 23 (1), 1-13, online: http://www.jp.philo.at/texte/KrauseR1.pdf (letzter Zugriff am 09.01.21).
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